End/Zeit

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Das Apokalyptische zwischen Politik, Prognose und Technologie

Die Rhetorik des Apokalyptischen hat – wieder einmal, so ist man versucht festzustellen – Konjunktur. Häufiger beiläufig aufgerufen denn wirklich adressiert, fungiert das endzeitliche Begriffsfeld als taugliches und vielverwendetes Register, ganz unabhängig von Intention oder Position. Das in das Vokabular eingelassene Potential reicht dabei, auch über tiefenhistorische Entwicklungen und Verschiebungen hinweg, vom allgemeinen Untergang über das Ende derzeitiger Weltverhältnisse bis zu überirdischer Gerichtsbarkeit oder der Entschleierung tatsächlicher Seinsverhältnisse. paraflows, das in seinem Selbstverständnis als auch in den Programmen seit seinem Entstehen stets für eine Relation zwischen theoretischen Konzeptionen und praktischen Applikationen mit Blick auf Technik bzw. Politik eingetreten ist, widmete sich angesichts der Zumutungen unserer Berichtsgegenwart ganz vorsätzlich dem Thema der Endzeit unter den Schwerpunktsetzungen Kunst, Politik, Prognose und Technologie. Gemäß dieser Leitlinien stehen Veränderungen, Formverluste und das Jonglieren mit Prognosen im Fokus der vorliegenden Publikation.

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Zusätzliche Information

Herausgeber_innen

Günther Friesinger, Thomas Ballhausen, Judith Schoßböck

Verlag

edition mono/monochrom (September 2018)

Sprachen

Deutsch

ISBN

978-3-902796-60-8

Veröffentlicht am

09.09.2018

1 Bewertung für End/Zeit

  1. Kyrosch Alidusti

    Mad Max auf dem Mittelaltermarkt

    Das Hardcover dieses Buches ist solide und stabil. Verlag (monochrom) und Designer (Capitale Wien) schaffen damit einen sinnlichen Kontrast zum Inhalt: „End/Zeit – Das Apokalyptische zwischen Politik, Prognose & Technologie“ lautet der Titel des Sammelbandes, der von Günther Friesinger, Thomas Ballhausen und Judith Schoßböck herausgegen wurde. Das Cover ist ein Blickfang. Die leichte Verfremdung des auffällig gestalteten, formatfüllenden weißen Schriftzugs vor komplett schwarzem Hintergrund verblüfft, da sich diese zunächst nicht selbst erklärt. „Damit beziehen wir uns auf Inschriften der Maya, nach denen die Buchstaben am Cover gestaltet wurden und die als Kultur ja einen gewissen Begriff von Apokalypse im weitesten Sinne bzw. Jenseitsgewandtheit hatten“, erklärt Daniel Perraudin, Inhaber und Art Direktor von Capitale Berlin, dem deutschen Pendant des österreichischen Designstudios, im Gespräch mit kritisch-lesen.de. Das erscheint passend für ein Buch zum „paraflows. XII apocalypse: Festival für digitale Kunst und Kulturen“. Das Festival fand 2017 in Wien statt und widmete sich der „Rhetorik des Apokalyptischen“. Es beinhaltete neben einem Symposium auch eine Konzertreihe, eine Buchpräsentation sowie Film- und Theatervorführungen.

    Der Call für die Beiträge zum Symposium des Festivals und der Aufruf für die Beiträge zum Sammelband erfolgten zum gleichen Zeitpunkt. Die Beiträge des Festivals stellen jedoch nur sieben von zwanzig Beiträgen des Bandes dar, wobei jeder einzelne der Aufsätze einen wertvollen Denkanstoß bietet.

    Was unterscheidet Offenbarungen?
    Martin Zolles, Teilnehmer des Symposiums und Journalist, leitet ausgehend von der griechischen Wortherkunft von Apokalypse die Bedeutung „Offenbarung“ (S. 143) ab, die über das „jüdisch-christliche Glaubenssystem“ weitertransportiert wurde, sich aber im Laufe der Jahrhunderte „säkularisiert hat“ (ebd.). In der Moderne sorgt die Wissenschaft für Neuerungen, die unser Verständnis von der Welt verändern: „Grundlagen für neue Weltbilder, die immer auch das Ende einer bestimmten wissenschaftlichen Vorstellung von Welt repräsentieren“ (ebd.). Die Medien offenbaren uns die Welt. Mit Computervisualisierungen lässt sich aber nicht nur die Gegenwart abbilden, sondern scheinbar auch die Zukunft gestalten. „Diese Form postmoderner Apokalyptik trägt das Signum von Statistik, Informationstechnologie und Medientechnik […].“ (S. 145) Als Beispiel nennt Zolles die Darstellung des Klimawandels.

    Der entscheidende Unterschied zwischen der Apokalypse des Johannes, dem christlichen Urbild der Apokalypse, und unseren medienvermittelten Endzeiten ist die Vermeidbarkeit. Wer könnte die apokalyptischen Reiter stoppen? Niemand! Und die Urchrist*innen hätten das vermutlich auch nicht gewollt. Die mediengemachten Endzeitbilder dagegen stehen in ihrer „wiederkehrende[n], verlässliche[n] Form“ mehr für Kontinuität „als für die ungewisse Tatsächlichkeit eines abrupten Endes.“ (S. 145)

    Bilden Dystopien die Grenzen unserer Vorstellungskraft?
    „Matrix“ und „Star Trek“ kommen in „End/Zeit“ nicht vor (eine Lücke!), dafür spielt „Mad Max“ im Buch eine wichtige Rolle. Und dieser Verweis auf Film und Literatur ist wesentlich. Denn falls die Kultur unsere zweite Natur ist, und so lautet eine geläufige These, lässt sich damit erklären, warum bekannte Filme ebenfalls ein prägender Teil unserer gemeinsamen Vorstellungswelt sind. Dies zeigte sich zumindest in dem Live-Rollenspiel, das die Gruppe monochrom, ein internationales Kunst-Technologie-Philosophie-Kollektiv, gemeinsam mit den Bewohner*innen der Wiener Neustadt aufführte. Eine Industriemesse, die einem Mittelaltermarkt nachempfunden wurde, war der Ort und das Jahr 2051 die Zeit, in der das Rollenspiel angesiedelt wurde. Auf diesem Markt wird nun zurück und in die Zukunft geschaut.

    Bei Mittelaltermärkten geht es meist nicht um eine durchgängig richtige historische Darstellung. Vielmehr erzählen sie „vor allem davon, wie wir uns die Vergangenheit in unserer jeweiligen Gegenwart vorstellen und wie sie dabei immer wieder verändert, überschrieben und dem jeweiligen Erzählrahmen angepasst wird.“ (S. 67) Wie die jeweilige Zeit durch ihre Interpretation der Vergangenheit diese immer wieder umschreibt, so trägt die Zukunft die Gegenwart in sich, weil sie mit den Utopien und Dystopien ihre „eigene mediale, imaginative“, d.h. einfallsreiche „und fiktionale Darstellungstradition bereits mitbringt“ (ebd.).

    Begleitend zur Zukunftssimulation namens „Postapokalyptica 2051“ fand ein Workshop zu „Zusammenleben, Selbstverständnis und Sicherheit unter postapokalyptischen Bedingungen“ (S. 63) statt. Als Resümee heißt es: „Gemeinsam entstand auf dieser Weise ein kollektives Erinnerungsbild an eine Zukunft, die ikonografisch“, also kunstgeschichtlich, „in Film und Literatur, längst stattgefunden hat und auf diese Weise (denkbare) zukünftige Entwicklungen beeinflusst und mitgestaltet“ (ebd.). Ist es möglich, dass diese filmischen oder literarischen, kurz: medialen Vorlagen unsere Vorstellungen und unsere Handlungsoptionen einengen? Die Forderung würde dann lauten, sich von den vergangenen und gegenwärtigen Zukunftsvorstellungen zu befreien.

    Futurologischer Materialismus
    Klar ist, dass auch in der Zukunft gewirtschaftet werden muss, damit sich die Menschen versorgen können. Deshalb sei es nötig, die „Geschichtslosigkeit der ‚Mad Max‘-Welt […] zu überwinden.“ Diese ökonomische Voraussetzung fehle jedoch häufig in Dystopien und zumeist auch in diesem Band. Für die Macher*innen der „Postapokalyptica 2051“, monochrom, steht jedoch fest, dass eine funktionierende Ökonomie die Grundlage sein muss, um von einer besseren Zukunft träumen zu können. Die Forderung, die wirtschaftlichen Grundlagen unbedingt mitzudenken, nennen sie „futurologischen Materialismus“.

    Das Experiment der Gruppe monochrom kann nachvollziehbar erklären, warum die Klimawende so zögerlich anläuft, schleppen wir doch immer die Bilder und Handlungsmuster unserer Gegenwart und Vergangenheit mit uns herum. Folgt man dieser Argumentation, haben sich die heutigen Zukunftsbilder so sehr eingebrannt, dass eine alternative Zukunft von den Akteur*innen nicht denkbar scheint. Doch ein anderer Blick in eine Zukunft – in eine bessere Zukunft – ist möglich. Man muss dieses Unterfangen nur selbst in die Hand nehmen.

    Kyrosch Alidusti, 09. Juli 2019, kritisch-lesen.de Redaktion, https://kritisch-lesen.de/rezension/mad-max-auf-dem-mittelaltermarkt

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